Vorsatz

Wird Ihnen vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen?

Grundsätzlich fahrlässige Begehung

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 25 km/h stellt sich oft die Frage, ob der Verstoß noch fahrlässig begangen wurde oder Vorsatz unterstellt werden kann. Bedeutsam ist dies einerseits deshalb, weil der Bußgeldkatalog bei Geschwindigkeitsverstößen grundsätzlich von fahrlässiger Begehungsweise ausgeht und bei vorsätzlicher Begehungsweise die Regelbuße gemäß § 3 Abs. 4a BKatV verdoppelt werden kann. Andererseits wird bei nachgewiesenem Vorsatz ein Absehen vom Regelfahrverbot erschwert.

Merkt man, wenn man zu schnell fährt? Woran?
Merkt man, wie hoch die Geschwindigkeit ist? Wie?

Starkes Indiz

Der Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein, wobei es auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit ankommt. Es ist von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen bleibt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten wird.

Prozentuale Überschreitung nicht ausreichend

Der Vorsatz ist aber nach der Rechtsprechung allein durch die Angabe der prozentualen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht zu begründen. Das Ausmaß der Überschreitung ist lediglich ein Indiz für den Vorsatz.

  1. Treten neben dem Indiz des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung weitere Umstände wie z. B.
    • ein höheres Motorengeräusch,
    • ein erhöhter Bewegungseindruck oder
    • eine schnelle vorbeiziehende Umgebung hinzu,

    so soll der Rückschluss auf Vorsatz nicht zu beanstanden sein (Fromm in DAR 2014, 246).

  2. Das OLG (Oberlandesgericht) Bamberg hat am 27.03.2006 (DAR 2006, 464) folgendes ausgeführt:
    Jeder Kraftfahrer wisse, dass innerorts nicht schneller als 50 km/h gefahren werden darf. Daher rechtfertige schon eine Überschreitung von 31 km/h (62 %) die Verurteilung wegen Vorsatzes.
  3. Auch der Bundesgerichtshof hatte bereits am 11.09.1997 (NZV 1997, 529) entschieden, dass sich bei einer erheblichen Überschreitung der allgemein gültigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h außerorts um 50 km/h (50 %) die Verurteilung wegen Vorsatzes „aufdränge“.
  4. Ein weiteres Indiz für das Vorliegen von Vorsatz kann auch der Umfang der Beschilderung sein. Da jedoch stets die Möglichkeit besteht, ein Verkehrszeichen zu übersehen, stellt dies ein eher schwaches Indiz dar, wenn tatsächlich nur ein Schild dort stand.
    Beispiel:Dies wird beispielweise in einem Beschluss des OLG Celle vom 28.9.2000 (DAR 2001, 38) deutlich, in dem das Gericht entschieden hat, dass eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung zumindest mit der Begründung unzulässig ist, dass in geschlossenen Ortschaften „regelmäßig“ Tempo-30-Zonen eingerichtet sind. Das Gericht führt aus, dass dies in kleinen Ortschaften nicht zutrifft und auch in anderen Ortschaften Tempo-30-Zonen nur einzelne Straßenzüge betreffen.
  5. Auch das Bayerische Oberste Landesgericht hatte bereits am 16.12.1993 (DAR 1994, 162) entschieden, dass eine Überschreitung der durch Verkehrszeichen angeordneten Geschwindigkeit von 80 km/h um 41 km/h auf einer Autobahn oder einer autobahnähnlich ausgebauten Straße nicht so gravierend ist, dass sie ohne Weiteres vorsätzlich begangen wurde. Folgende Umstände können für einen vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoß herangezogen werden:
    • Termindruck,
    • große Fahrpraxis,
    • Abbremsen eines Ortskundigen bei Erreichen eines Geschwindigkeitsmessgeräts,
    • Geständnis.

    Trotz des Vorliegens von Indizien muss jedoch der Vorsatz durch den Tatrichter festgestellt werden. Dies gilt auch bei einer Überschreitung in der Tempo-30-Zone um 35 km/h. Das OLG Hamm hat bei einer solchen Überschreitung in seiner Entscheidung vom 31.07.2008 (NZV 2007, S. 263) ausgeführt, dass die Annahme fahrlässigen Handelns der Feststellung besonderer Umstände bedarf.

  6. Das OLG Düsseldorf hatte mit Beschluss vom 08.01.2016 (DAR 2014, 149) die Auffassung vertreten, dass auch bei einer Überschreitung innerorts von 100 % ohne Hinzutreten weiterer Indizien kein Rückschluss auf eine Vorsatzfahrt möglich ist. Die Ausführungen des Tatgerichts zu Ausbauzustand der befahrenen Straße ließen für sich genommen den Schluss auf vorsätzliche Tatbegehung nicht zu.
  7. Ähnlich sah dies auch das OLG Brandenburg im Beschluss vom 17.06.2014 (VRS 2014, 41). Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf einer Bundesstraße um 34 km/h könne nicht in jedem Fall allein aus dem Ausmaß der Überschreitung auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden.
  8. Bei einer deutlichen (qualifizierten) Geschwindigkeitsüberschreitung, die nach ständiger Rechtsprechung des OLG Koblenz (07.05.2014 – 2 SsBs 22/14) außerhalb geschlossener Ortschaften ab einer Überschreitung um mehr als 40 km/h anzunehmen ist, ergibt sich schon aus den damit verbundenen sensorischen Eindrücken, hervorgerufen durch
    • Motorgeräusch,
    • Fahrzeugvibrationen und
    • die Schnelligkeit, mit der sich die Umgebung verändert,

    ein beweiskräftiges Indiz dafür, dass der Kraftfahrer die erlaubte Geschwindigkeit zumindest mit bedingtem Vorsatz überschreitet.

  9. Nunmehr hat das OLG Hamm mit Beschluss vom 10.05.2016, 4 RBs 91/16 (DAR 2016, 397) entschieden, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts von 28 km/h bereits von Vorsatz ausgegangen werden kann, weshalb die Regelgeldbuße des Bußgeldkatalogs keine Anwendung findet. Das Gericht geht davon aus, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % regelmäßig Vorsatz anzunehmen ist, weil dem Betroffenen die erhebliche Überschreitung wegen der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung nicht verborgen geblieben sein kann.
  10. Kein zwingender Vorsatz bei Kenntnis einer Geschwindigkeitsbeschränkung – OLG Bamberg vom 24.03.2015 – Az. 3 Ss OWi 294/15
    Auch wenn ein Autofahrer den Streckenabschnitt, an dem eine Geschwindigkeitskontrolle stattgefunden hat, häufig befährt und die Geschwindigkeitsbegrenzung kennt, kann nicht ohne Weiteres von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen werden. Dies gilt vor allem dann, wenn der Verkehrssünder glaubhaft erklärt, er habe wegen der ihm bekannten Geschwindigkeitsbegrenzung „auf seine Geschwindigkeit geachtet“ und habe sein Fahrzeug „ausrollen“ bzw. „auslaufen lassen“. Das Oberlandesgericht Bamberg ging danach von einem lediglich fahrlässigen Verkehrsverstoß aus und hob das vom Amtsgericht wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h verhängte Fahrverbot auf und reduzierte die verhängte Geldbuße von 240 Euro auf 160 Euro.
Rechtsanwalt Ferdi Özbay
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