Notwehr

Was ist Notwehr?

Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen

Rechtfertigungsgrund

Bei der Notwehr handelt es sich um einen Rechtfertigungsgrund. Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt gemäß § 32 Abs. 1 StGB nicht rechtswidrig.

Notwehrlage

Notwehr ist nach § 32 Abs. 2 StGB die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Nothilfe

Wird der Angriff von einem anderen abgewendet, spricht man von Nothilfe.

Angriff

Angriff im Sinne des § 32 StGB ist jede von menschlichem Verhalten ausgehende Bedrohung rechtlich geschützter Güter und Interessen.

Nicht notwendig für einen Angriff ist eine gezielte Verletzungshandlung. Allerdings muss das Verhalten des Angreifers Handlungsqualität besitzen, was dann der Fall ist, wenn es vom Willen des Angreifers beherrschbar ist. So liegt beispielsweise mangels Handlungsqualität kein Angriff vor, wenn ein Handwerker von einer Leiter fällt und die Gefahr besteht, dass er (der Schwerkraft machtlos ausgeliefert) auf eine am Boden stehende Person fällt. Auch ein Unterlassen kann einen Angriff darstellen, sofern dem Angreifenden eine Garantenpflicht obliegt, sodass ihm eine Rechtspflicht zum Tätigwerden zukommt, die gemäß § 13 StGB einem aktiven Tun gleichsteht.

Gegenwärtig

Gegenwärtig ist ein Angriff, wenn dieser unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder bereits begonnen hat.

Rechtswidrig

Der Angriff ist rechtswidrig, wenn er objektiv im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, also nicht seinerseits durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist und den der Betroffene auch nicht aus anderen Gründen zu dulden braucht.

Beispiel: Notwehr gegen eine Person, die ihrerseits durch Notwehr gerechtfertigt ist (Notwehr gegen Notwehr), nicht möglich.

Notwehrhandlung

Die Notwehrhandlung muss auch erforderlich sein, um den Angriff abzuwenden.

Erforderlichkeit

Erforderlich ist eine Verteidigungshandlung, wenn sie zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und unter den zur Verfügung stehenden Mitteln das mildeste darstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass letztlich der Angreifer mit der Intensität seines Angriffs das Maß des Erforderlichen bestimmt und es in der Hand hat, schon die Notwehrlage durch Abbruch des Angriffs zu beseitigen. Daher ist die Rechtsprechung mit den Anforderungen an die Erforderlichkeit relativ großzügig. Die Erforderlichkeit bestimmt sich dabei nicht nach dem Ergebnis der Verteidigungshandlung, sondern ist objektiv ex ante zu beurteilen. Maßgebend ist, wie ein Durchschnittsbetrachter in der Lage des Angegriffenen die im Zeitpunkt des Angriffs gegebenen und objektiv erkennbaren Umstände beurteilt hätte.

Eignung

Eignung im Sinne der Erforderlichkeit setzt nicht voraus, dass der Angriff sicher abgewehrt wird. Ausreichend ist, dass die Verteidigungshandlung den Angriff in seiner konkreten Gestalt wenigstens erschwert.

Beispiel: Herr Miro hetzt mehrere Hund e auf Herrn Gero. Herrn Gero gelingt es, einen der Hunde zu töten, bevor er von den anderen gebissen wird. Die Verteidigungshandlung war geeignet, weil damit zumindest der Biss dieses Hundes verhindert wurde.

Mildestes Mittel

Es muss das Verteidigungsmittel gewählt werden, das für den Angreifer und etwaige Dritte am wenigsten gefährlich ist. Das mildeste Mittel muss nicht wirklich das mildeste sein. Stehen dem Verteidiger mehrere Mittel zur Verfügung, kann er das Mittel einsetzen, dass die endgültige Beseitigung der Gefahr am besten gewährleistet. Unter mehreren gleichwirkenden Möglichkeiten ist diejenige zu wählen, die den geringsten Schaden anrichtet.

Schusswaffen

Bei dem Einsatz von Schusswaffen (gegen Unbewaffnete) zur Abwehr des Angriffs gelten besonders hohe Anforderungen. Je nach Situation und Intensität des Angriffs ist ein abgestuftes Verteidigungsverhalten zu fordern. So soll der Schusswaffeneinsatz zunächst angedroht werden, im Anschluss ein Warnschuss abgegeben, danach zunächst in weniger gefährliche Bereiche (z.B. die Beine) geschossen und erst als ultima ratio ein gezielter tödlicher Schuss abgegeben werden. Ist dieses gestaffelte Verhalten aufgrund der konkreten Situation allerdings nicht mehr möglich, ohne den Erfolg der Verteidigung zu gefährden, kann auch ein gezielter Schuss gerechtfertigt sein.

Notwehrprovokation

Das Notwehrrecht kann auch eingeschränkt werden. Hat der Angegriffene den Angriff z.B. selbst provoziert (sog. Notwehrprovokation), muss er zunächst versuchen dem Angriff auszuweichen. Nur wenn dies nicht möglich ist, darf aktiv gegen den Angriff vorgegangen werden. Gleiches gilt auch bei Angriffen von Kindern. Richtet sich der Angriff nur gegen geringfügige Rechtsgüter, scheidet Notwehr ebenfalls aus.

Kommt man zu dem Ergebnis, dass der Verteidiger den Angriff „provoziert“ hat, bedeutet dies noch nicht, dass ihm das Notwehrrecht gänzlich versagt wird. Es kommt zunächst einmal nur zu einer Einschränkung, das heißt

  • aus Trutzwehr wird Schutzwehr
  • wer ausweichen kann, muss ausweichen, also flüchten.

Beispiel: Herr Miro hat in der Kneipe über Herrn Gero gelästert. Dabei hat er nicht gemerkt, dass sich Herr Gero in der Kneipe befindet. Herr Gero dringt auf Herrn Miro ein, um ihn zu verprügeln. Hier hat Herr Miro durch vorsätzliche Beleidigung rechtswidrig provoziert. Der Grundsatz „das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ gilt hier nicht. Soweit dies möglich ist, muss Herr Miro sich zurückhalten und auf Schutzwehr beschränken.

Rechtsanwalt Ferdi Özbay
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